Sonntag, 29. November 2009

The Call-Center-Chronicles I

Ich arbeite seit zwei Monaten in einem Call-Center für Markt- und Meinungsforschung und was soll ich sagen? Natürlich wird man am Telefon nicht behandelt, wie ein Arzt oder Anwalt, wobei man sicherlich auch nicht von denen gerne angerufen wird. Man ist eher der Störenfried, der versucht, zu den unmöglichsten Zeiten, Leuten, die eh keine haben, mit den unmöglichsten Fragen zu nerven. So waren zumindest meine Vorstellungen und Erwartungen, die sich bis jetzt nicht ganz bestätigt haben. Die Menschen sind halt verschieden und natürlich gibt es alle möglichen Reaktionen auf die Frage, ob Sie so freundlich wären, mir ein paar Fragen zu beantworten?
Eine Antwort, die relativ häufig vorkommt, ist das Klacken des Hörers, das rapide auf meine perfekt einstudierte und mich im Schlaf verfolgende Anmoderation folgt. Was nicht so häufig vorkommt sind allerlei kuriose Situationen, die teilweise dadurch begründet sind, dass die Nummern, die angerufen werden zufällig ausgewürfelt werden. Da kann es schon vorkommen, dass man bei einem Fax- oder Modemanschluss herauskommt und das Gefühl hat, akustisch geblitzdingst geworden zu sein. Die meisten Leute, die man erreicht, haben gerade etwas besseres zu tun, was ich sehr gut verstehen kann oder sind einfach zu alt (was ich natürlich auch verstehen kann bzw. muss). So kann es schon einmal vorkommen, dass mich eine Grabesstimme anhaucht, mit den Worten: „Da brauchen Sie mich gar nicht mehr befragen. Ich bin schon bald... schon bald...“ In der darauffolgenden zu langen Pause frage ich mich, wie und ob überhaupt der Satz wohl weitergeht. Schon bald ... tot? Aber nein, glück gehabt, nach einem kurzen Röcheln endet er mit „... achtzig.“
Es gibt natürlich gute, ja sogar lebenswichtige Gründe, auf ein Interview zu verzichten. So meldete sich unlängst ein Mann mit den Worten: „Ich bin so müde, ich bekomme gerade ein Kind.“ Nun, diesem evolutionären Durchbruch möchte ich nicht im Wege stehen. Eine ganz andere Antwort gab mir eine junge Frau: „Junger Mann, ich hänge gerade mit dem halben Arsch aus dem Fenster.“ Auch hier möchte ich einem möglichen Durchbruch nicht im Wege stehen. Man kann hier sehr schön sehen, dass hier ein schnödes Interview zwischen Leben und Tot oder besser Geburt und Fenstersturz entscheiden kann.




Samstag, 26. September 2009

Die TOAST’sche Autosurprisation

Manchmal überrasche ich mich selbst. Das kommt nicht unerwartet, sondern mit Absicht und zwar folgendermaßen: Ich lege mich in mein Bett und schließe die Augen. Dann stelle ich mir vor, ich läge woanders und das mache ich solange bis ich fest davon überzeugt bin. Wenn ich nun die Augen öffne, habe ich ein großes Orientierungsproblem und bin total verwirrt. Ich kann das allen empfehlen, die sich selbst von Zeit zu Zeit vom Alltag lösen möchten. Mir fehlt nur noch ein Name für diese Methode. Am besten wäre eine Kombination aus Selbst und ÜberraschungAutosurprisation hört sich erstmal ungewohnt an, sollte aber dafür verwendet werden bis mir etwas besseres einfällt. Obwohl da eigentlich noch ein Name fehlt. Ich erinnere mich da an die Namen aus den Tafelwerken. Wer kennt nicht das FICK’sche Gesetz? Die wenigsten wissen, was es beinhaltet, aber der Namen hat schon viele Schulkinder amüsiert. Und darum geht es doch vor allem: Ruhm, Ehre und Unsterblichkeit, wenn auch nur als Verewigung im Tafelwerk. Deshalb rufe ich heraus:  TOAST’sche Autosurprisation! Ich sehe es schon in den und Lexika der Welt vor mir.

“Die TOAST’sche Autosurprisation bezeichnet einen nur durch Imagination, d.h. ohne Hilfsmittel, selbst herbeigeführten Zustand der temporären Orientierungslosigkeit bei vollem Bewusstsein, wobei sich der TOAST’sche Aotosurprisator mit geschlossenen Augen in zum Boden paralleler Position befindet.”




Donnerstag, 27. August 2009

Ach Hans

Ach Hans, mach doch mal was, was man halt so macht. Läufst hier ziellos durch die Stadt und nörgelst rum. Geh doch mal ein Eis essen beim Italiener. Oder kauf dir ne Bratwurst, was weiß ich. Beobachtest hier die Leute und denkst, du freust dich, weil du nicht so bist wie die. Weißt du Hans, die können sich wenigstens freuen. Die gucken sich ne Baustelle an und freuen sich. Wann freust du dich mal? Wenn jemand auf die Schnauze fliegt, gib's zu. Was sagst du dazu? Bist jeden Tag hier und weißt nichts mit dir anzufangen. Denkst daran, mal was wirklich außergewöhnliches zu machen, aber dafür bist du immernoch in deinem War und Wird. Weißte was andere an deiner Stelle machen? Die suchen sich die größte Bahnstation und filmen die Züge dann bei der Abfahrt. Das nennen die dann "Parallelstart Punkt 12 Uhr". Und weißte was? Auch die freuen sich. Da fällt keiner auf die Fresse. Was sagst du dazu, Hans? Nichts sagst du dazu, weil dir nichts dazu einfällt. Nimm deine Depri-Stöpsel aus den Ohren und sag was dazu. Oder lass sie drin, ist eh besser so. Was soll aus dir schon rauskommen? Reicht ja, wenn was reingeht, denkste dir jetzt bestimmt. Das würde zu dir passen. Weißte was? Guck dir doch mal diesen neuen Springbrunnen an. Drängelste dich einfach an den anderen vorbei und gehst drin baden. Das wär verrückt. Und erfrischend obendrein. Und was machst du stattdessen, Hans? Na? Stellst dir vor, da sei eine Stimme in deinem Kopf, die dir alles mögliche verbietet. Ach Hans, mach doch mal was anderes als die anderen.



Montag, 29. Juni 2009

Spiel des Staubes

- Wie sie sehen konnte ich nichts dafür. Ich war sozusagen Opfer der Umstände. Naja und des Klimas natürlich.

- Meinen Sie nicht, sie machen es sich damit ein bisschen zu einfach? Welche Umstände denn? Und das Wetter? Ich weiß selbst, dass es in letzter Zeit ziemlich heiß ist, aber das, was Ihnen passiert ist geht doch gar nicht!

- Ich kann mich nur wiederholen. Der Staubsauger ist kaputt gegangen und dann kam dieses heiße Wetter. Die Zeitungen schrieben “Jahrhunderthitze”. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen aber es war schon sehr warm für die Jahreszeit.

- Ja es war heiß wie in der Wüste. Finden Sie das nicht treffend?

- Ja das trifft es so ziemlich.

- Halten Sie sich für witzig? Ich kann über diesen Blödsinn jedenfalls nicht lachen. Fakt ist, Ihre Nachbarin hat sie gestern halb verdurstet gefunden. Sie sagte uns, sie wollte sich nur ein Ei und etwas Zucker von Ihnen leihen. Wie konnte es soweit kommen?

- Ich weiß nicht, vielleicht hat sie es beim Einkaufen vergessen.

Ich meine nicht den Einkauf, ich meine Ihren Zustand! Wie können sie in Ihrer eigenen Wohnung fast verdursten? Mal abgesehen davon, wie es dort drinnen bei Ihnen aussah!

- Wie ich schon sagte. Mein Staubsauger ging vor einiger Zeit kaputt.

- Ich verstehe das nicht. Warum reden Sie ständig von Ihrem Staubsauger?

- Vor ungefähr zehn Tagen ging er kaputt. Genau zu dieser Zeit fing es an, so warm zu werden.

- Das erklärt noch nicht den Zustand Ihrer Wohnung. Wir haben kaum die Türen aufbekommen!

- Jedenfalls hat sich seitdem der Staub angesammelt. Die Hitze schien dies noch zu verstärken. Ich war wie gelähmt und habe mich dem Spiel des Staubes nicht entziehen können. Können Sie mir folgen?

- Nein, aber machen Sie weiter.

- Als sich immer mehr Staub angesammelt hat, ist mir etwas aufgefallen. Das war gar kein Staub, sondern eher ganz feiner Sand. Leider habe ich das erst erkannt, als es zu spät war.

- Ich verstehe kein Wort.

- Ich verstehe das auch nicht. Auf einmal merkte ich, wie die ganze Wohnung bereits mit einem Film aus feinem Sand überzogen war. Der Sand wurde immer mehr, bis die Zimmer einer Wüstenlandschaft glichen.

- Ich glaube das nicht. Selbst wenn es so gewesen sein sollte, warum sind Sie nicht einfach aus ihrer Wohnung geflohen? Wäre ihre Nachbarin nicht zufällig zur Stelle gewesen, wären Sie jetzt höchstwahrscheinlich tot, ist ihnen das klar?

- Haben Sie schon einmal versucht, aus der Wüste zu fliehen? Können Sie sich vorstellen, wie schwer das ist? Und dann noch diese unerträgliche Hitze? Alles hat vor meinen Augen geflimmert! Ich habe es kaum bis zur Haustür geschafft. Waren Sie schon mal 10 Tage in der Wüste? Waren Sie schon mal 10 Tage in der Wüste und haben versucht, zum Horizont zu gelangen?

- Nein. Das war ich noch nicht. Beruhigen Sie sich bitte, ich bin jetzt fertig mit dem Gespräch.

- Warten sie, ich habe noch eine Frage.

- Bitte?

- Wenn wir jetzt fertig sind, könnte ich meine Nachbarin anrufen? Ich bin mir sicher, dass ich noch Eier und Zucker in der Küche habe.

- Nun, leider geht jetzt nicht. Ich werde ihr jedoch eine Nachricht zukommen lassen. Sie kann Sie dann in der regulären Besuchszeit sehen. Bitte folgen sie mir nun in Ihre Einrichtung.




Dienstag, 19. Mai 2009

Singin' in the Rain

Eines müsst ihr wissen, er wurde nicht gerade auf der Sonnenseite geboren, nein, vielmehr auf der - lasst mich das so sagen - Regenseite. Als kleiner Knirps hatte er es nicht leicht. Damals sah er die Sonne nur, wenn er aus dem Fenster schaute und das passierte nicht so häufig. Er kam nicht oft raus, höchstens mal am Abend oder am frühen Morgen. Weil seine Eltern sehr besorgt um sich waren, nahmen sie ihn überall hin mit. So konnte er schon als er noch so jung war von sich behaupten, weit herum gekommen zu sein. Und lasst mich das so sagen, er hat die Welt gesehen. Vor allem London gefiel ihm, er war dort wirklich überall. Leider sollte sein Glück dort auch bleiben. Der Flug zurück war der reinste Horror für unseren Kleinen. Eingequetscht zwischen den anderen wurde es enger und enger und als das Flugzeug dann auch noch durch ein Luftloch flog, passierte das denkbar ungünstigste. Er brach sich ein Gelenk. Nun muss ich euch sagen, dass die Eltern das damals nicht mitbekommen konnten. Zuhause angekommen stellten sie ihn in sein Zimmer und bemerkten erst Tage später den Bruch. Das war jetzt quasi so eine Wende in seinem Leben. So wie man das immer hört, nachdem das und das passierte, war ich nicht mehr der selbe und so. Lasst mich einen kleinen Sprung machen und sagen, das stimmt. Er ist heute wirklich nicht mehr der selbe und ich kann euch sagen, seid unbesorgt, es geht ihm prächtig, er befindet sich sozusagen auf der Sonnenseite des Lebens. Und gekommen ist das so: Nachdem er verarztet wurde, musste er erstmal in seinem fensterlosen Zimmer bleiben. Ein halbes Jahr verging und er fragte sich, ob seine Eltern überhaupt noch da waren. Die Frage war berechtigt, denn das waren sie nicht. Eines Tages ging die Tür auf und vor ihm standen drei Personen. Eigentlich sah er nur eine, dafür aber umso besser. Es war ein Mädchen in seinem Alter und er verliebte sich unsterblich. Irgendetwas muss da jedenfalls gefunkt haben, denn das Mädchen nahm ihn mit nach draußen, wo die Sonne so hell war, dass es weh tat. Ihr müsst wissen, dass das eine ganz normale Reaktion ist. Ein halbes Jahr im Keller ohne Licht und dann auf einmal … ihr könnt euch das sicherlich vorstellen, obwohl ich natürlich hoffe, dass ihr sowas noch nicht erleben musstet. Jedenfalls waren das Mädchen und der Knirps unzertrennlich. Wann immer sie seitdem in die Sonne geht, nimmt sie ihn mit, spannt ihn auf und singt dabei dieses Lied von Frank Sinatra.



Dienstag, 5. Mai 2009

Wie eines Tages ein Storch durch mein Fenster flog

Neulich flog mir ein Storch durchs Fenster. Überrascht fragte ich mich, was er hier wolle. Statt eines Kinderbeutels hatte er ein gebrochenes Bein, sprich: Bruchlandung. Was macht man nun mit einem gebrochenen Storch? Stabilisieren und hinstellen? Meine Wohnung ist so flach, da kann der gar nicht stehen. Er müsste quasi im Sturzflug durchs Fenster gerammelt sein. Wer macht denn sowas? Egal, ich musste handeln, hab schließlich noch nie einen Vogel in meinem Wohnzimmer verenden lassen. Schritt 1: Atmung checken. Atmung ist in Ordnung. Schritt 2: Helm abnehmen. Das war einfach, da der Storch unverantworlicher Weise nie mit Helm flog. Da kann man jetzt denken: Das hat er nun davon, aber Mensch, das ist ein Vogel. Der hat doch gar kein Sicherheitsbewusstsein. Schritt 3: Stabile Seitenlage. Ich gebe zu, das war der schwierigste Teil. Schreibt man jemanden zu, er habe Storchenbeine, ist das kein Kompliment. Stichwort Stelzen. Nun wurde der Vergleich zur Realität. Ihr könnt mir glauben, das war nicht einfach. So ein Storchenbein hat auch mindestens ein Storchenknie. Und wie herum sich das beugen kann war in dem Fall "Trial and Error", also mehr Probieren als Studieren. Die Sache mit Arm hinter den Rücken musste ich wegen Geflügel überspringen. Zuletzt legte ich den Storchenkopf auf seine Schulter. EIgentlich müsste ich man statt Kopf Storchenschnabel sagen, schließlich ist der ja um ein Vielfaches größer. Ich dachte fast Schrumpelkopf mit Flüstertüte. Ich fragte mich, was ich noch tun könnte und erinnerte mich an meinen Erste-Hilfe-Kurs vor X Jahren. Hatte ich etwas vergessen oder konnte ich endlich 112 wählen? Nicht, dass ich mir vorwerfen muss, nicht genug lebensrettende Sofortmaßnahmen getätigt zu haben. Schritt 1, 2, 3 … waren das nicht alle guten Dinge? Also weiter gings mit dem Notarzt und ich muss wirklich hervorheben, wie schnell die kamen. Genauso, wie man sich das vorstellt, mit Blaulich und allem. Und so schnell waren sie auch wieder weg, genauso wie man sich das vorstellt, mit Blaulicht und allem. Guten Gewissens ging ich ins Bett. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mir schweinekalt. Klar beim kaputten Fenster. Ich rief die Handwerker und nach drei Tagen standen zwei Vögel vor meiner Tür, genauso wie man sich das immer vorstellt…




Party Cat Episode Three




Sonntag, 5. April 2009

zitiert

An allem, was vergeht, willst du dich festklammern, nicht an dem, was im Werden ist, dachte er, während er die verfallene Treppe hinunterhastete. In allem, was kurz davor ist zu verschwinden oder schon verschwunden ist, willst du dich verkriechen. Aber was du berührst, wird weggeweht. Und was dich berührt, kannst du nicht festhalten. Ja, im Zerbröckeln bist du gut, Woedman, sagte Woedman zu sich. Sowohl intransitiv als auch transitiv.
Peter Dehmanns "Immer nur begraben" (Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke)



Samstag, 4. April 2009

Seismolyrik

“Hängende Gegenstände schwingen. Erschütterung wie beim Vorbeifahren schwerer Lastwagen oder Gefühl eines Stoßes wie bei einem schweren Ball, der an eine Wand schlägt. Fenster, Geschirr, Türen klappern.” (Berckhemer 1997: 59)

So und nicht anders wird ein Erdbeben der Stufe III auf der MSK-Intensitätsskala beschrieben. Das hat schon fast lyrischen Charakter.

Hängende Gegenstände schwingen…

Erschütterung wie beim Vorbeifahren schwerer Lastwagen.

Oder: Gefühl eines Stoßes wie bei einem schweren Ball, der an eine Wand schlägt.

Fenster,

Geschirr,

Türen

klappern.

Einzelschicksal oder doch die Apokalypse? “Gefühl eines Stoßes wie bei einem schweren Ball, der an eine Wand schlägt.” Da kommt man echt ins grübeln, auch so vom Rhythmus her…

Aber die Stufe VI schraubt die Spannungsschraube noch fester in den Kopf:

“Von allen spürbar. Menschen gehen schwankend. Fenster, Geschirr, Glas zerbricht. Nippes, Bücher usw. fallen von den Regalen, Bilder von den Wänden. Möbel bewegen sich oder werden umgeworfen. Risse bei schwachem Verputz und Bauweise D. Kleine Glocken läuten (Kirche, Schule).” (Berckhemer 1997: 60)

Schwach verputzte Häuser voller Nippes, in denen Menschen schwankend umhergehen. Und dann läuten auch noch die Glocken, also die kleinen.

Erdbeben sind kein Spaß und darüber lustig machen sollte man sich auch nicht. Aber diese nüchterne wissenschaftliche Beschreibung hat durchaus seinen Charme.

Quelle: Berckhemer, Hans (1997): Grundlagen der Geophysik. 2. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.




Dienstag, 24. März 2009

Vom Gurkenglück und nie mehr zweite Klasse

Was haben die sich eigentlich dabei gedacht? Wer die sind? Na die von da oben! Die von Brüssel! Eine ziemlich lange Zeit schon wird die EU wegen diverser Vorschriften für Obst und Gemüse veräppelt. Doch damit soll nun Schluss sein, denn: “Die Europäische Union hat beschlossen, die Normungen für 26 Obst- und Gemüsesorten abzuschaffen.” Ganz besonders hart trifft das die Gurke. Durfte sie bis vor Kurzem nur einen Krümmungsgrad von 10mm pro 10cm Länge haben, kann sie jetzt wachsen wie sie möchte. Dies hat nun wieder verschiedene Folgen. Es liegt auf der Hand, dass nun ehemals verkrummte Gurken mit Model-Maß-Gurken in eine Kiste geschmissen werden, was für die Toleranz innerhalb der Gurkenkiste nur förderlich sein kann. Auf langer Sicht werden sich die Gurken untereinander akzeptieren und aus einer Zweiklassengesellschaft entsteht eine geeinte Gurkencommunity. Eventuell könnte das jedoch zu viel für die Tomaten sein, denn hier bleiben die Richtlinien bestehen, was allerdings eine anderes Thema ist. Gurkenglück hin oder her, es stellt sich die Frage, ob der Mensch dem gewachsen ist. So bot sich letzte Woche bei LIDL folgendes Bild:

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Man kann auch deutlich erkennen, dass die ehemals übergekrümmte Gurke (links) mit einer Art Folie versucht, ihrer Oberfläche zusätzlichen Glanz zu verleihen. Dies kann allerdings für den Konsumenten eher künstlich rüberkommen. Wofür der Käufer sich im Endeffekt entscheidet, bleibt abzuwarten. Irgendwann wird die EU-Vorschrift vergessen sein und man wird sich an damals erinnern. An das Damals, als die Gurken noch richtige Gurken waren. Gerade wie ne Eins und nicht so krumm und schief wie im Zukunfts-Jetzt.




Dienstag, 3. März 2009

Arbeitskleidung für Schneemänner

Was macht eigentlich der Schneemann, wenn es nicht gerade kalt ist? Ich sehe ihn im Winter fast jeden Tag auf dem Rummelplatz stehen. Nicht, weil gerade Rummel ist - vielleicht würde er sich das wünschen - nein, weil er dort Weihnachtsbäume verkauft. Durch seine imposante Größe soll er dort jedes Jahr Kunden anlocken. Groß und weiß, das sind seine Qualifikationen. Selbst die passende Kleidung hatte er schon: einen schwarzen Zylinder und einen roten Schal war Pflicht in diesem Job. Seine Arbeit gefiel ihm und er füllte sie pflichtbewusst aus, doch irgendetwas fehlte. Von Zeit zu Zeit stellte er sich die Frage, ob ob er der einzige Schneemann hier sei. Er ist noch nicht viel herumgekommen und lesen hat er auch nie gelernt, aber könnte das sein? Der einzige seiner Art? Eines Abends sah er etwas in der Ferne. Klein und weiß, wie eine Miniaturausgabe von ihm. Er rannte voller Erwartung in den Hinterhof, wo er es zuerst gesehen hat, doch was er da sah, spottete jeder Beschreibung. Der Zylinder war nur ein umgedrehter Kochtopf - das muss man sich mal vorstellen. Und als er das Gesicht berührte, stellte er fest, dass die Nase nur eine alte Möhre (!) war. Voller enttäuschung wandte er sich ab. So kann das nicht weitergehen, dachte er. Diese Ungewissheit! Irgendwo muss es doch noch echte Schneemänner wie ihm geben. Höchstwahrscheinlich am Nordpol, weil es da kalt ist. Oder doch eher am Südpol? Er kannte den Unterschied nicht und beführchtete, die Reise dahin wäre zu anstrengend. Und wie sollte er dort auch überleben? Er würde dort allen Vorurteilen gegenüber Schneemännern nicht überleben können, da es dort einfach viel zu kalt ist und einfrieren würde. Die Jahre vergingen und es scheint, als hätter der Schneemann resigniert. Seine Arbeit verrichtet er immernoch jedes Jahr gewissenhaft, aber als ich ihn das letzte mal sah, kahm es mir so vor, als wäre er etwas kleiner geworden. Hoffentlich ist er auch dieses Jahr im Winter wieder auf dem Rummelplatz. Vielleicht frage ich ihn dann, was er im restlichen Jahr so gemacht hat.



Sonntag, 1. März 2009

Abstellen, was nicht abzustellen geht

Eine Maschine, die für sich selbst arbeitet

Arbeitskraft wird reduziert

Nur ich bin noch da

Um zu schaufeln und zu machen

Dass es rattert und zischt

Gar nicht so groß wie ich denke

Klein und klapprig

Und trotzdem hält sie mich auf trapp

Ich werde sie polieren

Warten

Und der Welt zeigen




Campbell Beyond Wonderland by =Bakanekonei on deviantART

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Donnerstag, 19. Februar 2009

Was war das denn?

Ich befinde mich in einem langen Gang und laufe immer geradeaus. Der Gang scheint unendlich lang zu sein. Die Wand links von mir ist verglast, hinter ihr befinden sich Labore, in denen Wissenschaftler an irgendetwas forschen. Die rechte Wand ist kahl, bis auf ein Werbeposter einer Versicherung, die damit wirbt, in einem Test einen von fünf möglichen Sternen bekommen zu haben. Ich laufe immer weiter geradeaus, nichts scheint sich zu verändern. Doch dann sehe ich von weitem, dass der Gang einen Knick nach links macht. Voller Erwartung, was sich dahinter wohl verbirgt, laufe ich weiter. Immer schneller. Plötzlich höre ich getrampel. Ich drehe mich um und sehe ungefähr zehn Asiatinnen in Uniform, die hinter mir her sind. Trotzdem bleibe ich nicht stehen. Sie sind schnell und ich befürchte, sie holen mich ein. Ich renne. Immer schneller. Doch ich bin zu langsam. Sie holen mich ein, rennen einfach an mir vorbei. Ich sehe, dass sie Armbinden mit der Aufschrift LIDL tragen. Ich sehe, wie sie um die Ecke biegen. Meine Ecke, die ich erreichen wollte. Und dann wache ich auf. Ist ein Traumdeuter in der Nähe?



Dienstag, 17. Februar 2009

© R.Arnold/CT

Als ich vor einiger Zeit "The Cocka Hola Company" von Matias Faldbakken gelesen habe, war ich begeistert. Die Geschichte handelt von einer Pornoproduktionsfirma ist höchst amüsant und - wie es sich für die Reihe "skandinavische Misanthropie" gehört, wirklich misanthropisch. Ich habe mich also sehr gefreut, dass Mareike Mikat den Stoff auf die Bühne der Skala gebracht hat. Wie schon bei bei der Adaptation von Palahniuks "Die Kolonie" ist es ihr gelungen, den Kern der gesellschafts- und kulturkritischen Geschichte werkgetreu und sehr kreativ umzusetzen.

Weitere Informationen gibts hier bei der Skala.

"The Cocka Hola Company" - gesehen am 16.02.2008 in der Skala Leipzig.